SCHATTENMENSCHEN, der neue Film von Darioush Shirvani ab 25. April 2012 im Kino!

Der Mensch und seine Einsamkeit

Ein kurzes Studium über die Filme von Darioush Shirvani*

von  Bassir Nassibi,

Chefredakteur der Filmzeitschrift „Cinema-ye-azad“,


 Nach der Bestätigung und Festigung der islamischen Republik im Iran, stellte sich die islamistische Ideologie allen Formen der Kunst misstrauisch entgegen. Zudem traten die Mullahs allen Filmemachern, die zu Zeiten des Schahs tätig waren, äußerst misstrauisch und feindseelig gegenüber auf. Was zur Folge hatte, dass sich eine beachtliche Gruppe von Filmschaffenden bereits ein Jahr nach der Revolution genötigt sahen, den Iran zu verlassen, um im Ausland Zuflucht zu suchen.

Darioush Shirvani hatte in Shiraz, eine der wichtigsten iranischen Metropolen und der Heimat des berühmtesten iranischen Dichters Hafiz, bereits im frühen Alter von vierzehn Jahren mit Experimentalfilmen begonnen. Seinen ersten Film hatte er im Filminstitut „Filmwerkstadt“, welches im ganzen Land aktiv war, gedreht. Zu Beginn der islamischen Revolution hatte er seine Aktivitäten im Bereich Film und Theater weiter entwickelt und machte bis 1985 sechs Filme. Es entstanden sowohl Kurz- als auch Spielfilme im 16mm Format.

Jedoch wurden seine künstlerischen Aktivitäten von Tag zu Tag mehr eingeschränkt. Der religiöse Absolutismus duldete zunehmend keine kulturellen Aktivitäten, die nicht im Dienste seiner Ziele standen. Shirvani musste umgehend das Land verlassen und ersuchte im Februar 1986 um politisches Asyl in der Bundesrepublik Deutschland nach.

Zu der Zeit, als er in Asylantenwohnheimen lebte, plante er bereits einen Film über die Situation von Flüchtlingen in der BRD. Nach der Anerkennung als politischer Flüchtling entstand unter dem Titel „Die menschliche Situation“ ein Dokumentarfilm. Dank seiner besonderen Dramaturgie löste dieser Film beim Zuschauer große Betroffenheit aus. Der Film wurde in mehreren deutschen Städten mit großem Erfolg aufgeführt.

Diese Resonanz weckte bei Darioush Shirvani das Verlangen, einen soliden Spielfilm in Angriff zu nehmen. So drehte er in Deutschland seinen zweiten Film mit dem Titel „Die Verbindung“. Hier zeigte sich deutlich, dass das Thema Einsamkeit ein großes Anliegen von Darioush ist. Die Isolation und Vereinsamung wurde zusehends zum Thema seiner Filmstorys.
Ich erinnere mich an seinen Spielfilm “Ghasem, der Straßenreiniger“, den er noch im Iran gedreht hatte. Alle Figuren dieses Films waren extrem einsam, obwohl sie allesamt in Großfamilien lebten. Damals hatte ich mich gefragt, weshalb ein so junger Regisseur ausgerechnet diese Themen behandelte. Der Film selber war jedenfalls sehr gut gemacht.

Als Darioush „Die Verbindung“ drehte, war er gerade mal 27 Jahr alt- Die einzige Requisite dieses Films ist ein altes Telefon ohne Anschluss. Drehort ist ein weißer, leerer Raum, mit einem einzigen Darsteller, dessen imaginäre Verbindung zur Außenwelt das nicht angeschlossene Telefon darstellt.
Um bei so einem Film den Rhythmus zu wahren und die Spannung aufrecht zu halten, muss man die Techniken des Filmens schon sehr souverän beherrschen. Die Zuschauer wurden jedenfalls bei diesem Film in keinster Weise gelangweilt. Ganz im Gegenteil wurde man in das Geschehen eingebunden und erlebt alle inneren und äußeren Reaktionen und Oszillationen dieses Mannes hautnah mit. Es ist, als ob in diesem Film der seelische Druck des Mannes förmlich auf die Zuschauer übertragen wurde. In diesem Film bewies sich Peter Reinwarth als starker Schauspieler, der die Vorstellungen des Regisseurs verstanden hatte und dadurch die Momente der Einsamkeit und Verzweiflung sehr lebendig machte. „Die Verbindung“ ist somit einer der erfolgreichsten iranischen Filme im Exil.

Darioush Shirvani drehte nach „Die Verbindung“ einen kurzen, fünf minütigen Film mit dem Titel „Asylpolitik in Deutschland“, der bisher bei vielen Filmfestivals gelaufen ist. Ich sah den Film beim Max- Ophül- Preis in Saarbrücken. Der Film handelt von einem Interview zwischen einer Journalistin (Karla Andere) und einem Asylanteninspektor (Dieter Görtz), zu Zeiten, in denen die Häuser, in denen Asylanten lebten, von Rechtsradikalen in Brand gesteckt wurden. Viele Parteien, Gruppen und Institutionen in Deutschland hatten sich damals gegen eine solche Entwicklung gestellt. Die Bildzeitung hatte auf einer ihrer Titelseiten geschrieben ..“der böse Asylant....“. Und mit diesem Bericht der Zeitung beginnt auch der Film. Shirvani gelang es in den wenigen Minuten, ohne Zuhilfenahme von Kommentaren oder gar Parolen eine kritisch, satirische Aussage zu machen.

Ich heiße Joseph“ ist der letzte Film* von Darioush Shirvani und gleichzeitig die Rückkehr zu seinem Lieblingsthema, die Einsamkeit. Joseph (Peter Reinwarth) verliert nach seiner Arbeitslosigkeit sowohl Freunde, als auch seine Familie. Um die Situation für sich erträglicher zu gestalten, verfällt er zusehends dem Alkohol. Dabei führen ihn Armut, Vereinsamung und ein zerbrechliches, soziales Gefüge, immer näher an den Abgrund. Bald sieht er keine Möglichkeit mehr, seinem Schicksal zu entrinnen. Selbst seine Alkoholexzesse und der Besuch einer Prostituierten sind nur kurze Ausflüchte aus dem Elend. Wie so oft fährt Joseph mit seinem Fahrrad durch die Umgebung, um die Zeit tot zu schlagen. Als er eines Tages an einem See rastet und gegen Abend die Badegäste nach und nach den See verlassen, beobachtet er ein Mädchen, das bei Sonnenuntergang schwimmen geht. Nachdem das Mädchen plötzlich Probleme bekommt und unterzugehen droht, springt Joseph, ohne zu zögern ins Wasser, um sie zu retten. Nachdem er überzeugt ist, dass das Mädchen tot sei, streichelt er sie, um seine lange unterdrückte Lust zu befriedigen. Doch das Mädchen kommt wieder zu sich. Es entsteht eine heftige Auseinandersetzung, in deren Verlauf Joseph, aus Angst vor Entdeckung, das Mädchen umbringt. Der Tod des Mädchens bedeutet auch für Joseph das Ende. Er trägt das Mädchen in das stille Wasser des Sees und verschwindet mit ihr langsam unter der Wasseroberfläche. Der Freitod setzt seinem Leiden ein Ende.

Shirvani inszeniert den Film mit einem glänzenden Peter Reinwarth. Seine Darstellung ist sehr beeindruckend und stark. Dabei ist diesem Film, bei dem man gerade mal das Geld für das Filmmaterial zur Verfügung hatte, nichts von alledem anzumerken. Das Spiel zwischen Realität und Traum geht hier nahtlos ineinander über.

Nach diesem Film war es Darioush Shirvani aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich, ein weiteres Projekt zu realisieren*. Einen Filmemacher wie Shirvani muss diese Zwangspause sehr schmerzen und schwer fallen. Doch der multitalentierte Künstler hat noch eine andere Profession, die Musik. In den letzten Jahren, in denen er filmisch nicht mehr tätig sein konnte, baute er seine musikalischen Aktivitäten aus. Und so erhielt er, neben seinen erfolgreichen Konzerten, auch noch verschiedene Auszeichnungen. Shirvani ist nicht nur Komponist, sondern auch ein virtuoser Violinist und Santoorspieler. Aber ich frage mich natürlich, ob die Welt der Musik das entstandene Vakuum seiner Filmaktivitäten wirklich ausfüllen kann.
Ich, der selber ein Gefangener dieses Zauberers bin, finde es aber unendlich schade, dass diese Situation einen so talentierten Filmemacher wie ihn dazu zwingt, seine Kamera zur Seite zu legen. Selbst wenn er den Bogen seiner Geige absolut souverän beherrscht.

*
Dieser Artikel wurde vor der Kinofilmproduktion "Schattenmenschen" geschrieben!  (Provider)




Darioush Shirvani 2001, Filmtage Den Haag









Darioush Shirvani, rechts im Bild bei den Dreharbeiten zu  „Die menschliche Situation“







Peter Reinwarth in „Die Verbindung“







Darioush Shirvani am Schnittplatz bei „Die Verbindung“







Dreharbeiten zu „Ich heiße Joseph“ mit Peter Reinwarth, Darioush Shirvani hinter der Kamera









Heike Siekmann und Peter Reinwarth in
„Ich heiße Joseph“